Zukunftsmobilität organisieren anstatt eine Seilbahn zu bauen

Offener Brief an die Mitglieder des Wuppertaler Stadtrates

Der Rat der Stadt Wuppertal und der Vorstand der WSW AG haben eine wirklich wichtige Entscheidung zu treffen! Es geht um eine Entscheidung mit historischem Ausmaß. Die geplante Wuppertaler Seilbahn ist ein Bauwerk, das alles bisherige in diesem Bereich sprengt. Eine innerstädtische Seilbahn als Nahverkehrsinstrument vom Hauptbahnhof zur Universität und dann zur Müllverbrennungsanlage auf Küllenhahn.

Ein Bauwerk, welches in ca. 7-10 Jahren den Betrieb aufnehmen soll und anschließend für mindestens 50 Jahre als zentrales Mobilitätstool den Wuppertaler dienen soll. Es ist wichtig, dieses zu realisieren, denn nur dann rechnen sich die Baukosten von ca. 90 Millionen €, falls es denn dabei bleiben würde – was viele bezweifeln.

Als ich ein Vorstandsmitglied der WSW AG kürzlich bei einer öffentlichen Veranstaltung fragte, ob es wirklich verantwortbar sei dieses Projekt zu realisieren, nachdem der Rat der Stadt und die WSW bereits bei zwei vergleichbar wichtigen Projekten historische Fehlentscheidungen getroffen haben, da antwortete er: „Wie soll man das beantworten, wenn man nicht in die Zukunft blicken kann?“

Diese Aussage ist deshalb so beängstigend, weil man durchaus in die Zukunft blicken kann, dieses von den Verantwortlichen meist aber leider nicht in ausreichender Weise getan wird, weil man oft den falschen Beratern vertraut.

Blicken wir zurück:

Anfang der 2000er Jahre wurde im Rat der Stadt die Bestellung einer neuen Fahrzeuggeneration für die Schwebebahn diskutiert.

Bei den Fahrzeugen ging es auch um die Frage, ob diese dann in Zukunft wie bisher „fahrergeführt“ oder „autonom“ gesteuert werden sollten.

Es entbrach damals eine kontroverse Debatte. Die Technologie der „Autonomen Mobilität“ stand noch am Anfang. Die Gewerkschaft Ver.di wollte natürlich die Arbeitsplätze der Fahrer sichern. Die WSW wollten ihr Defizit im Bereich des ÖPNV möglichst verringern. Viele Experten sagten voraus, das diese „Fahrerlosen Systeme“ in wenigen Jahren fehlerfrei überall eingesetzt werden können. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass ca. 80% der Kosten im ÖPNV Personalkosten sind und die WSW Mobil aktuell jährlich ca. 45 Millionen € Verluste machen, die von den Wuppertaler Stadtwerkekunden ausgeglichen werden.

Man entschied sich damals für ein „Fahrergeführtes System“, welches nun aktuell, also mehr als 10 Jahre später, in Wuppertal mit den neuen Schwebebahnwagen installiert wird.
Diese Entscheidung war, wie die meisten Akteure heute erkennen, absurd!

Überall auf der Welt gibt es heute „Fahrerlose“ Systeme bei U-Bahnen, Skytrains etc., die einwandfrei funktionieren. In wenigen Jahren werden auf unseren Straßen die Autos autonom fahren. Im komplexen Straßenverkehr und nicht an einer Schiene hängend an einem eingleisigen System ohne jede Abzweigung.
In Wuppertal sollen diese Schwebebahnwagen die kommenden 40 Jahre mit Fahrern und den damit verbundenen wirtschaftlichen Verlusten auf Kosten der Bürger fahren, weil die damals Verantwortlichen nicht in der Lage waren, den Blick in die Zukunft zu wagen und die Chancen einer neuen Technologie zu erkennen.
Unnötige Millionenverluste im Nahverkehr sind die Folge dieser Fehlentscheidung! Wir alle bezahlen das!

2009 planten die WSW eine Beteiligung am Bau eines Kohlekraftwerkes in Wilhelmshaven. Es entbrannte eine wilde Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer solchen Investition. Es war genau die Zeit, in der viele Bürger, Genossenschaften und Energieversorger in große Solar- und Windparks, sowie in Biogasanlagen investierten. Denn es gab hohe „Einspeisevergütungen“ die für 20 Jahre staatlich garantiert wurden. Hunderttausende dieser Anlagen laufen heute überall in Deutschland und bringen den damaligen Investoren heute sichere und auskömmliche Renditen.

Zahlreiche Experten warnten die Stadt und die WSW vor dieser Investition in ein Kohlekraftwerk. Die Energiewende war im vollen Umfang erkennbar, das Ende des fossilen Zeitalters war klar.
Der Wuppertaler Stadtrat entschied auf Anraten der WSW für die Investition in den Bau des Kohlekraftwerkes in Wilhelmshaven.
Nun, 9 Jahre später und nachdem das Kraftwerk in Betrieb ist, wissen wir, dass alle Warnungen berechtigt waren. Jährliche Millionenverluste für die Wuppertaler sind die Folge. Der Beitrag zum Klimaschutz ist katastrophal, nämlich kontraproduktiv.
Wir alle bezahlen das! Jedes Jahr. Heute sagt der Vorstand der WSW: „Ja, es war ein Fehler dieses Kraftwerk zu bauen.“
Ja, die Verantwortlichen haben damals nicht in die Zukunft geblickt und den falschen Beratern vertraut, sage ich.

Nun steht die dritte große Fehlentscheidung an und wieder werden der Wuppertaler Stadtrat und die WSW Führung vermutlich eine fatale Fehlentscheidung treffen.
Warum?

Ich möchte all die vielen sachlichen Argumente der „Seilbahngegner“ hier nicht aufführen, sondern mich auf die für mich wichtigen Punkte fokussieren:

* Eine Seilbahn ist toll und erfolgreich, wenn es sich um eine sogenannte Punkt zu Punkt Verbindung handelt, die täglich von zehntausenden Menschen wie z.b. den Touristen in Koblenz, die täglich vom Deutschen Eck zu einer schönen Burg auf den Berg fahren, genutzt wird.

* Diese Situation haben wir in Wuppertal nicht! Weder haben wir eine entsprechende Anzahl von Touristen, noch verspricht das Ziel (Müllverbrennungsanlage Korzert) eine entsprechende Aufenthaltsqualität.

* Die Uni als Zwischenziel ist gut, aber leider auch nur an ca. 150 Tagen im Jahr im „Normalbetrieb“, deshalb ist erkennbar, dass die Auslastung dieser Seilbahn auf das ganze Jahr und die ganze Strecke betrachtet, völlig ineffizient sein würde, selbst wenn die Nutzer der Uni denn überhaupt in großer Anzahl damit fahren würden, was ich bezweifle. Warum?

* Die Mobilitätslandschaft verändert sich in den kommenden 5-15 Jahren mehr als in den vergangenen 100 Jahren (sagen Daimlerchef Zetsche und VW-Chef Müller). In 5 Jahren (2022) beginnt das Zeitalter der „Autonomen Autos“.

* Dies wird der entscheidende „Tipping Point“. Denn, wenn Mobile erst einmal ohne Lenkrad, Bremse und Gaspedal auf der Straße sind, dann macht es keinen Sinn mehr, diese persönlich zu kaufen und diese dann so wie heute täglich 23 Std. irgendwo zu parken. Sie können ja 24 Std. umherfahren und Geld verdienen.

* Das führt unweigerlich dazu, dass in Zukunft „Schwärme“ von Fahrzeugen, die völlig autonom und vernetzt unterwegs sind, uns allen als Mobilitätstools zur Verfügung stehen werden. Auf Deutsch: 20.000 zukünftige „Schwarmmobile“ werden die gleiche Mobilitätsleistung erbringen wie heute ca. 200.000 PKWs in Wuppertal, die im Schnitt 23 Std. täglich herumstehen und nicht genutzt werden. Die Schwarmmobile werden nie herumstehen, sondern immer fahren und uns alle jederzeit von A nach B bringen. Schnell, sauber, leise, komfortabel, sicher und unglaublich preiswert. In 10-15 Jahren wird dieses „Standard“ in all unseren Städten sein. Es wird bedeuten, dass wir alle eine saubere „Tür zu Tür“-Mobilität geniessen. Jeder kann fahren: jung oder alt, gesund oder krank, reich oder arm. Jeder wird diese Systeme nutzen können, so komfortabel, sicher und preiswert wie nie zuvor. Und nun die spannende Frage: Wer wird sich dann noch an eine Bushaltestelle stellen, auf den Bus warten, von Cronenberg nach Küllenhahn fahren, dort in eine Seilbahn umsteigen, am Döppersberg wieder in einen Bus umsteigen, der ihn dann nach einigen Warteminuten in Richtung seines Zieles bringt? Kaum jemand! Vermutlich niemand, der die Möglichkeit hat, per Knopfdruck sein „Mobil“ zu buchen, das ihn jetzt sofort sicher, schnell, umweltfreundlich, preiswert und komfortabel an SEIN Ziel bringt. Von Tür zu Tür.

Das bedeutet „Schwarmmobilität“:

* Nie mehr einen Parkplatz suchen (30% der Verkehre in unseren Quartieren sind Parkplatzsuchverkehre), nie mehr ein Knöllchen bezahlen, nie mehr die Reifen wechseln und in die Waschanlage fahren, nie mehr tanken müssen und trotzdem genauso mobil sein, wie heute. Zu einem Zehntel der bisherigen Kosten. Nie mehr den Sohn zum Fußball fahren müssen, weil das Schwarmmobil dieses sicher für Sie erledigt. Das ist die Alternative für heutige Autofahrer.

* Im Zeitalter der Schwarmmobilität werden die heutigen Grenzen zwischen Individualverkehr und öffentlichem Nahverkehr weitestgehend verschwinden. Schwarmmobile werden 1,2, 4, 8 und 12 Sitzplätze haben. In den Hauptverkehrszeiten 7.00-9.00 und (16.00-18.00) werden auch die größeren Fahrzeuge fahren. An den übrigen 20 Stunden am Tag hauptsächlich die kleineren. Sie sind alle vernetzt und intelligent. Sie kommunizieren miteinander und fahren Stoßstange an Stoßstange. Alle im gleichen Tempo. Unfälle werden sich um ca. 90 % reduzieren. Die Kosten für Mobilität werden ebenfalls um durchschnittlich ca. 80-90% sinken.

* Verkehrswissenschaftler sagen voraus, dass wir auf den bestehenden Straßen zwischen 50 % (Innenstädte) und 100% (Autobahnen) mehr Verkehr abwickeln können, weil diese Fahrzeuge zentral gesteuert fahren und die beiden größten Stautreiber weitestgehend wegfallen: Unfälle und unterschiedliche Geschwindigkeiten und Fahrweisen.
* Stadtentwicklung wird sich neu erfinden dürfen, denn neben der Tatsache, dass wir in den Städten deutlich weniger Lärm haben werden, wird die Luft viel besser. Diese Mobile produzieren kein CO2, keine Stickoxide, kein Schwefel, kein Ruß, kein Gestank.

* Und wir gewinnen viel Platz. Von den aktuell ca. 600.000 PKW-Stellplätzen in Wuppertal werden ca. 90% überflüssig. Das bedeutet, wir bekommen Raum für Gestaltung und Entwicklung. In jeder Straße, vor jeder Schule, an der Uni, in jedem Gewerbegebiet und überall in den Innenstädten. Unfassbar viel Platz, den wir kreativ zu unserem Wohl entwickeln können. Lasst uns Urban Gardening ernst nehmen. Endlich können wir große Plätze zur Begegnung in den Innenstädten entwickeln. Heutige Parkstreifen in den Straßen werden zu Fahrradwegen oder Blumenbeeten. Und da wir als Volkswirtschaft bei den Mobilitäts- und den Gesundheitskosten jedes Jahr hunderte Milliarden € einsparen, werden wir sogar das Kapital für diese Entwicklungen haben.

* Ja, es wird auch manche Nachteile geben. Viele Berufe werden dadurch verschwinden: Busfahrer, Taxifahrer, Fahrlehrer, etc…. Nicht schön, wird aber trotzdem so passieren, wie bei jeder technologischen Innovation.

* Unsere gemeinsame Aufgabe wird es sein, die Menschen, die ihre Jobs unweigerlich verlieren werden, schnell zu qualifizieren, damit sie von den vielen neuen Jobs der Digitalisierung profitieren können.

Nun kommt es auf Sie an!

Sie alle dort im Stadtrat in den unterschiedlichen Fraktionen,
in der Verwaltung und vor allem bei den WSW.
Auch auf Dich: Andreas Mucke, Du bist der Oberbürgermeister dieser Stadt.

Bitte treffen Sie nicht schon wieder eine solche historische Fehlentscheidung! Sie würde uns Wuppertalern in den kommenden Jahren erneut dutzende Millionen kosten. Ohne Funktion, denn dieses Bauwerk dürfte man nicht einmal bauen, wenn es „geschenkt wäre“. Denn es würde in Zukunft von kaum jemandem benutzt werden und würde demzufolge bereits nach wenigen Jahren wieder abgebaut.

Und es bindet Zeit und Konzentration. Lenkt ab vom wesentlichen. Statt nun Jahre an Planungszeit für ein unsinniges Bauvorhaben zu verplempern, Millionen für Planungskosten und Rechtsstreitigkeiten mit den Anwohnern zu vergeuden, statt zehntausende Menschen in der Südstadt zu verärgern, deren Busverbindungen verschlechtert werden sollen, stattdessen sollten wir alle gemeinsam morgen an der Entwicklung neuer und zeitgemässer Mobilitätskonzepte für die ganze Stadt Wuppertal arbeiten. Denn wir haben in den meisten Stadtteilen erhebliche Schwierigkeiten in diesem Bereich. Und unsere aktuelle Mobilität ist nicht nur komfortabel, sondern auch tödlich. Wer z.b. an der Gathe, der B7 oder der Uellendahler Straße lebt, wird deutlich früher sterben als wenn er am Stadtrand wohnen würde. Deshalb brauchen wir bessere und saubere Mobilität so schnell wie möglich in ganz Wuppertal und für alle Verkehrsteilnehmer und eine Mobilität, in der endlich auch alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind. Eine Seilbahn ist keine Innovation, wie manche uns erklären wollen. Sie ist eine uralte Technologie und ein viel zu starres Mobilitätsinstrument für eine urbane Mobilität von morgen.

Lassen Sie uns gemeinsam Wuppertal zur ersten Stadt der „Schwarmmobilität“ machen. Es wäre eine riesige Chance für die WSW und die Stadt, wenn wir bei dieser wirklich innovativen Technologie voran gehen würden. Die entscheidende Frage in wenigen Jahren wird sein, wer der Betreiber dieses Fahrzeugschwarmes sein wird. Die damit verbundene Wertschöpfung und die damit verbundenen Arbeitsplätze könnten von den WSW organisiert werden. Verschlafen sie das, dann werden es Unternehmen wie Uber, Google, Apple oder Tesla machen. Das wäre verheerend für die Zukunft unserer Stadt.

Geben Sie sich einen Ruck.
Entscheiden Sie für die Menschen in Wuppertal und verzichten Sie darauf, sich ein neues Denkmal zu errichten.

Jörg Heynkes

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1 Kommentar. Leave new

  • Großartig, was Jörg Heynkes da schreibt. Und ja, man kann in bestimmten Grenzen durchaus in die Zukunft blicken. Man muss sich nur ernsthaft mit den Themen beschäftigen und die jüngere Vergangenheit in Relation zur nahen Zukunft setzen. Das ist nicht so schwer. Die besten wissenschaftlichen Forscher und Entwicklungsingenieure beschäftigen sich doch ständig mit unserer Zukunft und wissen heute schon relativ genau wie unsere Welt in 10 bis 20 Jahren aussehen wird. Schade, dass unsere Politiker oft so rückständig denken und den klügsten Köpfen unserer Nation nicht vertrauen. Die sollten mal die Wertpapierhändler an der Börse befragen. Die haben relativ klare Vorstellungen von unserer näheren Zukunft, weil sie sich intensiv mit den Zukunftsthemen beschäftigen und die besten Fachleute befragen. Dazu muss man noch nicht einmal mutig sein, man muss nur die richtigen und vor allem unabhängige Fachleute befragen. Befragen Sie keine Leute von Gewerkschaften, politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Vereinigungen. Von diesen werden Sie nur belogen, weil sie zu meist nur an Macht und Besitzstandswahrung denken. Das bringt uns nicht weiter.
    Ich freue mich schon auf das neue Buch von Jörg Heynkes. Das wird für mich sicher spannender als jeder Thriller sein.

    Josef Jung, Limburg/Lahn

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