Beim Gipfel im Kanzleramt ließen die Autobosse wieder einmal die Motoren röhren: „Konjunkturbelebende Maßnahmen“ müssen her. „Kaufprämien“ sollen wegen des Umsatzeinbruchs zum Autokauf animieren. Fakt ist: Die Lobby von 800.000 direkten und bis zu einer Million indirekten Arbeitsplätzen konnte sich bislang immer so routiniert durchsetzen, dass sie Angela Merkel sogar noch in der Diesel-Affäre den wenig schmeichelhaften Titel „Autokanzlerin“ einbrachte.
Und wer – wie kürzlich der Auto-Chef der BILD – noch mehr aufs Gas treten will, droht mit bis zu zehn Millionen Menschen, die irgendwie und irgendwo in Deutschland vom Auto abhängig seien. Hoffentlich hat er nicht vergessen, die Haustiere mitzuzählen …
Zehn Millionen von 82 Millionen? Da wirkt finanzielle Hilfe durch „Abwrackprämien“ alternativlos.
Industrie-Romantik macht noch keine Zukunft
Doch ist sie das wirklich? Ich bin überzeugt: Es ist höchste Zeit, sich aus der Geiselhaft der Autolobby zu befreien, denn es ist ökonomisch wie ökologisch klug, der Branche endlich einmal klare Bedingungen zu stellen und sie dann aber auch dabei zu unterstützen, diese Ziele zu erreichen. Diese Härte hilft sogar nachhaltig den mittelbar Beschäftigten, ob man nun mit 800.000 oder zehn Millionen rechnet. Ein bisschen ist es beim Auto wie bei der Kohle: Falsche Industrie-Romantik mit Rücksicht auf deutsche Wirtschaftsgeschichte macht noch keine Zukunft.
Man muss nicht ritualisiert Elon Musk bemühen, um wissen zu können, dass sich unser wichtigster Industriezweig in den kommenden zehn Jahren in seiner Größe mindestens halbieren wird, weil das Auto der Zukunft ein Smartphone auf Rädern mit Elektroantrieb sein wird – und kein Verbrenner mehr, der in öligen Autowerkstätten bestenfalls ein Service-Update bekommt.
Klar, wir brauchen Autos. Aber wir brauchen andere Autos: Sauber, leise, langlebiger und effizient im Verbrauch. Und deshalb keine Prämien für Autos, die den notwendigen Umstieg von Benzin und Diesel auf umweltfreundliche Technologien einfach nur weiter verzögern. Es ist eben nicht so, dass neue Autos per se besser für die Umwelt sind als alte.
Gute Werte auf dem Papier
Ja, ich weiß, die aktuell neuesten Dieselmodelle „EURO 6-D Temp“ erreichen sehr gute Ergebnisse bei den CO2- und Stickoxidwerten. Aber eben doch wieder nur auf dem Papier, bzw. dem Prüfstand. Denn diese guten Werte werden nur unter optimalen Bedingungen erreicht: Sommerliche Außentemperaturen, ein stets gefüllter „AdBlue Tank“, optimale Drehzahlbereiche und ein auf Betriebstemperatur befindlicher Motor. Diese Notwendigkeiten führen letztlich dazu, dass bei einem großen Teil der realen Fahrten, diese angeblich guten Abgaswerte nicht im Ansatz erreicht werden. Warum? Weil die Lebenswirklichkeit auf der Straße eben eine andere ist, als die des Verkaufsprospektes.
Mehr als 80 % der PKW Nutzer fahren weniger als 30 Kilometer am Tag. Das bedeutet, das jemand der morgens 10 bis 15 Minuten durch die Stadt zur Arbeit fährt und abends wieder zurück, niemals in den Modus kommt, den der Motor bräuchte um optimale Schadstoffwerte zu liefern. Wer nach zwei Minuten auf der Autobahn ist und dann stets lange Strecken im optimalen Drehzalhbereich fährt, der schafft es. Aber das sind die wenigsten.
Außerdem: Auch moderne Verbrenner dieser Art stinken, machen Lärm und haben immer noch einen indiskutablen Wirkungsgrad, der am Ende bei ca. 20 % liegt. Es werden also immer noch fast 80 % der eingesetzten Energie verschwendet.
Deshalb: Der Verbrennungsmotor ist tot, weil er dem Elektromotor in allen Belangen unterlegen ist. Unabhängig von der Frage, ob die benötigte Energie in Zukunft in einer Batterie oder einem Wasserstofftank gespeichert wird. Der Motor wird immer elektrisch sein.
Die letzte „Umweltprämie“ hat klar gezeigt, dass sie vor allem denjenigen genützt hat, die sowieso gekauft hätten. Die Neukäufe werden zu etwa zwei Dritteln von Unternehmen und Selbständigen getätigt. Davon werden die allermeisten Fahrzeuge zwischen drei und fünf Jahren geleast. Da sind „Spontankäufe“ wegen einer Kaufprämie völlig unlogisch.
Wer diese in Anspruch nimmt, der hätte sowieso gerade ein neues Fahrzeug erworben, weil der alte Vertrag ausläuft.
Arbeitnehmer die jetzt nicht negativ von der Corona-Krise betroffen sind, können sich die Neuanschaffung vermutlich eh leisten. Konsumenten, die gerade Angst um ihre Zukunft haben, werden sicherlich keine Investition von 20-60.000 € tätigen, nur weil es einen kleinen Zuschuss gibt.
Entweder kein Effekt oder Mitnahmeeffekte. Also:
Großer finanzieller Aufwand – wenig beabsichtigte Wirkung!
Gesetzliche Hürden jetzt beseitigen und Investitionen ermöglichen
Eine sinnvolle Beförderung des notwendigen Wandels wäre die Reduzierung der Besteuerung von Dienstfahrzeugen für reine Elektroautos auf 0 %. Dies würde einen echten Schub bringen. Denn hier geht es um das private Geld von Selbständigen, Managern und Angestellten, welches diese sofort einsparen könnten – das wirkt!
Doch Elektromobilität macht wiederum nur Sinn, wenn auch der Strom grün und günstig ist. Deshalb sollte der Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben werden und die Stromsteuer mindestens halbiert und die EEG-Umlage entweder bei ca. 5 Cent je Kwh begrenzt oder noch besser, komplett vom Strompreis entkoppelt werden, damit das e-Auto nicht teuren Kohlestrom tanken muss und die privaten Verbraucher genauso wie die Unternehmen entlastet werden.
An die Bundesregierung und einige Landesregierungen gerichtet, bedeutet das zunächst einmal, alle bestehenden Blockaden, wie z.B. der PV-Deckel und die hohen Abstandsflächen für die Windenergieanlagen, müssen sofort beseitigt werden. Anschließend muß ein umfassendes Investitionsprogramm aufgelegt werden, welches den Ausbau der Erneuerbaren umfassend befördert.
Mindestens ebenso wichtig: der dringend notwendige Ausbau der Ladeinfrastruktur mit superschnellem Laden an den Autobahnen mit 250-350 kw, schnellem Laden in den Städten an den Hotspots des Einkaufens mit 50-150 kw, dreiphasigem Laden mit 11-22 kw überall in den Städten – und einphasigem Laden von 2-3,5 kw in allen Tiefgaragen, an Wohngebäuden und in Wohngebieten. Vor allem aber auch auf den Parkplätzen der Unternehmen, damit die Mitarbeiter während der Arbeitszeit laden können. Hier sollten die Unternehmen in die Pflicht genommen und bei der Realisierung unterstützt werden.
Bitte mehr Wahrheit!
Warum ich gegen Abwrack-, Umwelt- oder Kaufprämien bin, hat auch Gründe, die ich als „Wahrhaftigkeit“ bezeichnen würde. Sagt den Menschen doch bitte die Wahrheit!
Anders als die Politik sich das in meiner Heimat NRW bei den Kumpels unter Tage viel zu lange nicht getraut hatte und heute bei der Braunkohle wieder nicht traut.
Die Automobilindustrie befindet sich auf globaler Ebene in einem nie dagewesenen Transformationsprozess hin zu Vernetzung, autonomem Fahren und Elektromobilität. VW-Vorstand Herbert Diess hat dies erkannt, indem er das Auto zum wichtigsten „Internet-Device unserer Gesellschaft“ ausgerufen hat. Doch zu dieser richtigen Erkenntnis, die Volkswagen im Vergleich zu BMW und Mercedes zum Vorreiter in Zukunftstechnologien machen kann, brauchte es offenbar erst den Dieselbetrug, Elon Musk und den beeindruckenden technologischen Fortschritt zahlreicher asiatischer Hersteller.
Im Zeitalter der Schwarmmobilität
Hinzu kommt: In den kommenden zehn bis 15 Jahren werden wir in das Zeitalter der „Schwarmmobilität“ kommen, in dem der Individualbesitz von Fahrzeugen sukzessive eingetauscht wird in die Dienstleistung und Service-Frage an den Schwarmbetreiber: „Wie und mit welchem Fahrzeug komme ich heute am komfortabelsten von A nach B? Auf Knopfdruck, sicher, preiswert und von jedermann nutzbar.“ In diesem neuen Zeitalter werden wir sehr viel Zeit gewinnen, denn der durchschnittliche deutsche Autofahrer sitzt ca. 4,5 Jahre seines Lebens hinter dem Steuer eines Autos. Verlorene Lebenszeit, die wir geschenkt bekommen, wenn der Algorithmus fährt. Hinzu kommt, dass unsere Fahrzeuge aktuell nur ca. 5 % ihrer Lebenszeit genutzt werden. 23,5 Std. täglich bewähren sich unsere Fahrzeuge als Stehfahrzeuge, die schlicht im Weg stehen.
Für unsere Städte wird es der größte Innovations- und Transformationsprozess mit einem ungeheuren Zuwachs an Lebensqualität, wenn zukünftig 90 % der PKW-Stellplätze überflüssig werden, weil die Flotten des Schwarms mit deutlich weniger Fahrzeugen auskommen und kaum mehr Parkplätze benötigen, weil sie ständig Menschen und Waren von A nach B bringen. Die Staus werden genauso verschwinden wie der Lärm, die meisten Unfälle und der Dreck in der Luft. Wir werden unsere Städte neu erfinden dürfen.
Wenn wir diese Vorteile nicht als letzte geniessen wollen und in Zukunft technologisch nicht noch mehr von den USA und Asien abgehängt werden möchten, müssen wir jetzt sehr schnell die Automobilindustrie dabei unterstützen den Transformationsprozess zur „Softwareschmiede“ und zum „Mobilitätsdienstleister“ zu bewältigen. Parallel müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Ausbau und die Nutzung des Autonomen Fahrens geschafft werden. Dazu gehört die zügige Änderung des „Wiener Straßenverkehrsabkommens“, damit autonome Fahrzeuge mit Level 4 oder 5 in Deutschland überhaupt auf die Straße dürfen.
Schnelle Entscheidungen sind möglich!
Das klingt komplex, aber das geht! Denn die Corona-Krise zeigt uns, dass politische Prozesse – wenn es darauf ankommt – schneller entschieden werden können als man uns oft glauben machen will. Anfang Juni wollen Autoindustrie und Bundesregierung noch einmal über „konjunkturbelebende Maßnahmen“ beraten. Was wir dann brauchen ist eine echte „Wiederbelebung“ der deutschen Autoindustrie. Mit klaren Bedingungen und Investitionen in die Technologien, die unsere Zukunft prägen werden. Das Kanzleramt nennt so etwas verschwurbelt „Modernisierungsbeitrag in Richtung innovativer Fahrzeugtechnologien“. Das ist der richtige Weg aus der Geiselhaft, denn sonst ist der Patient „Autoindustrie“ schneller tot als der neue Leasingvertrag läuft.